Goldene Worte: Gleichzeitigkeit ist ein Geschenk

Noch so ein Satz eines meiner Lehrtherapeuten, der mir schon in vielen Situationen wieder in den Sinn gekommen ist: „Gleichzeitigkeit ist ein Geschenk.” Gleichzeitigkeit in einer Beziehung ist danach also etwas, über das ich mich freuen, das ich aber nicht erzwingen kann. Und das gilt nicht nur für den Sex, sondern für viele Bereiche des Lebens.

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Offensichtliche Gleichzeitigkeit: Libellen beim Liebesakt
Fotograf: Peter van der Sluijs

Was ich an dem Satz so gut finde, ist, dass er auf mich eine entspannende Wirkung hat. Wenn ich mir klarmache, dass es normal ist, dass Gefühle, Empfindungen und Wünsche nicht gleichzeitig sind, dann nimmt mir das Druck. Dann kann mich das in bestimmten Situationen vielleicht frustrieren oder traurig machen, aber es muss mich nicht ärgern, dass meine Partnerin gerade anders empfindet als ich oder ein anderes Tempo hat; und umgekehrt muss ich meine Unterschiedlichkeit auch nicht um einer vermeintlichen Harmonie willen verheimlichen.

Vielmehr kann ich dann mit ihr schauen, wie gehen wir mit der Ungleichzeitigkeit um? Wie kommen wir beide zu Glück und Befriedigung? Wer kann und will sich wie bewegen? Wer kann sich vom anderen wohin locken lassen? Und wo sind die eigenen Grenzen, die er oder sie nicht überspringen will?

Gleichzeitigkeit ist ein Geschenk. Geschenke kann man bekommen, Geschenke kann man machen, Geschenke kann man genießen. Und manchmal geht’s auch ohne sie.

Also, genießen Sie, was geht!

Gott dynamisch denken

Impulse aus dem Buch von Catherine Keller „Über das Geheimnis“ – Gott erkennen im Werden der Welt – Eine Prozesstheologie

Vorbemerkung

Mindestens seit meiner Jugend bin ich auf der Suche nach Gott. Und diese Suche zeitigt zwar immer wieder Ergebnisse, ist aber nie abgeschlossen, sondern wird durch neue Lebenserfahrungen und auch neue spirituelle Impulse immer wieder verändert.

Als denkender und fühlender Mensch hat die Suche nach Gott für mich zwei Dimensionen: die emotionale und die gedankliche. Beide sind für mich wichtig. Gefühlsmäßig erfahrbar wurde Gott für mich in der Stille, in der Meditation, in bestimmten Gottesdiensten, in gemeinsamen politischen Aktionen der Gewaltfreiheit, im Gebet und im Handauflegen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Gedanklich war es mir immer wieder wichtig, ein solches Gottesbild zu entwickeln, das mit den Erfahrungen von mir und anderen Menschen zusammenpasst und für unser Leben relevant ist. Dazu gehört, dass es in sich keine logischen Widersprüche aufweisen soll (was nicht meint, dass die Gotteserfahrung keine Ambivalenzen haben dürfte), dass es die Erfahrungen und Erkenntnisse des Menschen nicht leugnet, sondern sie erklärt und in einen – ggf. auch korrigierenden – Rahmen stellt, und dass es deutlich macht, was diese Welt von einer solchen (natürlich nur theoretisch gedachten, denn es gibt ja nur diese eine) unterscheidet, von der ich nicht sagen würde, dass Gott in ihr wirksam ist.

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Nach meinem Studium habe ich nicht mehr  viele Bücher gelesen, die diesen Prozess meiner Gotteserkenntnis beflügelt hätten. Das Buch der amerikanischen Theologin Catherine Keller „Über das Geheimnis“,  2008 auf Englisch erschienen und 2013 ins Deutsche übersetzt, könnte eines von ihnen sein.

Glaube als Prozess

Denn so schreibt Keller in ihrem Prolog:

„Der Glaube ist keine festgelegte Meinung, sondern ein lebendiger Prozess. Er ist gerade die Grenze und die Öffnung zu einem Leben im Prozess. Leben [ich würde sagen ‚Leben im Glauben’, HP] bedeutet vertrauensvoll in den nächsten Moment einzutreten: in das Unvorhersagbare.“ (S. 16)

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Äußerstes Glück?

Das Buch, das mich in diesem Sommer am meisten berührt hat, ist der neue Roman von Arundhati Roy, „The Ministry of Utmost Happiness“, wobei der deutsche Titel: „Das Ministerium des höchsten Glücks“ wohl eher etwas in die Irre führt. Denn von einer staatlichen Einrichtung erwartet die in hohen Maße staats- und sozialkritische Autorin sicher kein Bemühen um das Glück seiner Bürger. Dafür ist dann schon eher der für seine unbändige (homoerotische) Liebe bekannte und hingerichtete Sufi-Heilige Hazrat Nizamuddin zuständig, dessen Mausoleum im Herzen von Delhi für diese Geschichte eine wichtige Rolle spielt.

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Aber um Glück geht es schon in diesem Buch, genauer um die Frage, wie Glück möglich ist – in einer Welt, wie sie ist, mit all ihrer Armut, ihren Grausamkeiten, ihrer Gewalt. Und genau da wird dieses Buch, auch wenn es in Indien spielt und all die sozialen Konflikte aufgreift, in denen sich Roy in den letzten 20 Jahren engagiert hat, zu meinem Buch. Weiterlesen

Rein ist nur die gute Butter

Seit ich vor mehr als 25 Jahren in ihrem Roman „A Bleeding Heart“ den Satz von Marilyn French gelesen habe, es gäbe nichts Reines als reine Butter, lässt er mich nicht mehr los. Nicht, dass er wirklich neu wäre. Schon im Markusevangelium lehnt Jesus es ab, als „guter Meister“ bezeichnet zu werden, gut sei „Gott allein“ (Mk 10,18).

Also nicht neu, aber treffend. Wie oft erwarten wir immer noch Reinheit: reine Motive, reine Hingabe, reine Liebe? Sei es bezüglich einer Sache oder eines Menschen.

butter-400Die Wahrheit ist, jeder Mensch ist in seiner Motivation ambivalent. Das gilt für persönliche Beziehungen genauso wie für das Ehrenamt oder die Politik. Neben die Interessen, die ich an dem anderen oder der Sache habe, treten meine eigenen. Und das ist gut so. Wichtig ist, dass diese Tatsache bewusst bleibt, denn das verhindert falsche Idealisierungen und die damit automatisch verbundenen Enttäuschungen, wenn ich oder ein anderer diesem Maßstab der Reinheit nicht entspricht.

Die Frage sollte also nicht sein: Ist jemand makellos?, sondern: Diskreditieren seine Fehler oder seine Eigenmotive das, was er oder sie tut oder sagt? Weiterlesen

Ethik biblisch begründen?

An vielen Stellen lese ich, eine Handlungsmaxime sei biblisch begründet. Ich tue mich schwer damit. Schon angesichts sich diametral widersprechender Positionen, die diese biblische Begründung für sich in Anspruch nehmen, wie z.B.

  • die Verurteilung homosexueller Praktiken oder das Eintreten für gleiche Rechte unabhängig von der sexuellen Orientierung,
  • ein strikter Pazifismus oder eine Theologie der Revolution, die Rechtfertigung der Selbstverteidigung oder die sogenannten „Responsibility to Protect“,
  • die Ablehnung oder die Forderung nach Todesstrafe usw.

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