Ein Votum für Selbstbestimmung

Zum Urteil des Bundesverfassungsgericht zum § 217 StGB

Es ist jetzt sechs Jahre her, dass ich mich in meinem Post „Das Augenmaß wahren”  ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob eine Verschärfung des Strafgesetzbuchs notwendig sei, um den Wert des Lebens in unserer Gesellschaft zu schützen. Schon damals kam ich zu der Überzeugung, dass dies nicht der Fall sei.

Nachdem nun das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 den § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung des Suizids unter Strafe stellte, für nichtig erklärt hat, sehe ich mich in meiner Einschätzung bestätigt.

Bundesverfassungsgericht_Bundesadler_Karlsruhe_(Foto_Hilarmont)-600

Der Bundesadler im Bundesverfassungsgericht, Foto: Hilarmont

Dabei habe ich mich allerdings schon gefragt, ob ich dem Gericht auch da folgen möchte, wo es  von einem „Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden” und  „hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen” (alle Zitate aus oben genannter Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichtes) spricht. Doch bei genauem Nachdenken muss ich ihm Recht geben. Weiterlesen

Noch einmal der § 219a

Zur erneuten Verurteilung von Kristina Hänel

Wie von ihr selbst schon erwartet (vgl. ihr Interview mit der Zeit im Sommer) wurde die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel erneut nach dem § 219a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage nicht nur darauf hinweist, dass sie Schwangerschaftsabbrüche nach dem § 218a vornimmt, sondern auch einen Flyer bereitstellt, in dem sie vorstellt, welche Methoden des Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis durchgeführt werden (vgl. z. B. den Bericht in der Zeit.) Dabei beschreibt sie das jeweilige Vorgehen und informiert sachlich über Voraussetzungen, Komplikationsmöglichkeiten, Vor- und Nachbereitungen – so, wie sie das auch bei der ebenfalls von ihr angebotenen Blutegeltherapie tut.

219a

Diese Informationen sind aber auch vom geänderten Paragraphen 219a weiterhin verboten. Nicht verboten ist hingegen der Hinweis auf Informationen von Ärztekammern oder Bundesbehörden, wie z. B. auf die sehr gut gemachte Seite der Bundeszentrale für politische Bildung https://www.familienplanung.de/beratung/schwangerschaftsabbruch/, die umfassend zum Thema Schwangerschaftsabbruch informiert.

Man könnte sich also fragen, warum Hänel das Risiko einer erneuten Verurteilung in Kauf nimmt und nicht einfach einen Link auf oben genannte Seite setzt. Ich denke, die Gründe sind vielfältig. Zum einen gibt es da die taktische Überlegung, dass sie, wie sie im Sommer erklärt hat, vor dem Bundesverfassungsgericht klären will, dass der Paragraph 219a in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist.

Zum anderen gibt es inhaltliche Gründe: Nur durch eine eigene Beschreibung kann sie den betroffenen Frauen vermitteln, was sie in ihrer Praxis erwartet (und dass sie z. B. gerne Vertrauenspersonen ihrer Wahl mitbringen dürfen). Zum anderen ist ja nicht gesagt, wie lange eine Regierung an der Macht ist, die eine vernünftige Aufklärung über den Schwangerschaftsabbruch bei der Bundeszentrale für politische Bildung ermöglicht. Da ist es m. E. berechtigt zu fordern, dass die betroffenen Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen selbst informieren dürfen, solange sie sich an die auch sonst gegebenen Regeln für ärztliche Aufklärung halten, die ja eine Werbung im echten Sinne sowieso verbieten.

Aus meiner Sicht wäre es auch noch erträglich, einen Paragraphen 219a mit einem engen Werbeverbot beizubehalten, wenn sachliche Information künftig erlaubt wäre. Ansonsten sollte man diesen Paragraphen ganz abschaffen. Denn wirklich brauchen tun wir ihn nicht.

Mehr zum Hintergrund der Debatte und meiner eigenen Position in meinen beiden anderen Beiträgen zum Thema vom 1.2.2018 und  23.12.2018.