Ein Votum für Selbstbestimmung

Zum Urteil des Bundesverfassungsgericht zum § 217 StGB

Es ist jetzt sechs Jahre her, dass ich mich in meinem Post „Das Augenmaß wahren”  ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob eine Verschärfung des Strafgesetzbuchs notwendig sei, um den Wert des Lebens in unserer Gesellschaft zu schützen. Schon damals kam ich zu der Überzeugung, dass dies nicht der Fall sei.

Nachdem nun das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 den § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung des Suizids unter Strafe stellte, für nichtig erklärt hat, sehe ich mich in meiner Einschätzung bestätigt.

Bundesverfassungsgericht_Bundesadler_Karlsruhe_(Foto_Hilarmont)-600

Der Bundesadler im Bundesverfassungsgericht, Foto: Hilarmont

Dabei habe ich mich allerdings schon gefragt, ob ich dem Gericht auch da folgen möchte, wo es  von einem „Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden” und  „hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen” (alle Zitate aus oben genannter Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichtes) spricht. Doch bei genauem Nachdenken muss ich ihm Recht geben.

Was wäre denn die Alternative? Die Alternative wäre doch – wie es ja auch in anderen Zeiten geschehen ist – auch von Staats wegen zu sagen, der Mensch habe kein Recht, sich das Leben zu nehmen. Als Konsequenz müsste man dann entweder den Suizid oder den Suizidversuch selbst unter Strafe stellen (was in der Bundesrepublik nicht geschehen ist) oder es versuchen, einen Suizid so weit wie möglich zu erschweren (das ist der Weg, den der Gesetzgeber dieses Landes in den letzten Jahrzehnten auf unterschiedliche Weise gegangen ist und in den sich auch der § 217 als eine Möglichkeit eingefügt hat).

Allerdings hat sich die gesellschaftliche (und damit verbunden auch die rechtliche) Überzeugung so verändert, dass andere Formen selbstbestimmteren Sterbens (also insbesondere der freiwillige Verzicht auf therapeutische Maßnahmen oder auch der künstlichen Ernährung) allgemein akzeptiert sind. Da empfinde ich es als folgerichtig, auch die Beihilfe zum Suizid wieder komplett aus der Strafandrohung herauszunehmen.

Nun geht das BVerfG ja noch ein Stück weiter und fordert generell, dass gesetzliche Maßnahmen nicht faktisch eine Umsetzung eines ernsthaften Suizidwillens unmöglich machen dürften. So hält es in seiner Presseerklärung fest:

„Allerdings muss dem Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichender Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen werden. Das erfordert nicht nur eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts.”

Auch wenn das Gericht später festhält: „All dies lässt unberührt, dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf,” so macht dieser Passus doch deutlich, dass es ihm nicht nur um die Abschaffung des § 217 geht, sondern dass gesamtgesellschaftlich Möglichkeiten des assistierten Suizids gestaltet werden sollten und dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, einen passenden Rahmen dafür zur Verfügung zu stellen.

Dass es dabei anderseits auch nicht um die Förderung von assistierten Suiziden gehen soll, und dass es umgekehrt Maßnahmen geben kann (oder soll), dass niemand vorschnell oder gar unter Druck zum Suizid greift, macht die folgende Passage deutlich:

„Dies schließt nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe einzubinden.”

Dies alles fügt sich zu einer Position des Bundesverfassungsgerichts zusammen, die ich, je länger ich darüber nachdenke, umso einleuchtender finde. Ein Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist der, dass Menschen einen Ausweg aus diesem Leben haben, der auch weniger grausame Methoden als das Sich-Aufhängen oder Vor-einen-Zug-Werfen beinhaltet, zumal diese auch Dritte noch sehr viel mehr belasten als ein assistierter Suizid, wenn der z.B. mit wirksamen Medikamenten geschieht.

Solch ein Ausweg stellte für mich auch schon bisher die Möglichkeit dar, in der Schweiz einen assistierten Suizid wahrzunehmen. Von daher sah ich in Deutschland keinen dringenden Handlungsbedarf.

Umgekehrt frage ich mich, ob es nicht doch auch in Ordnung ist, dafür nicht ins Ausland fahren zu müssen, sondern für unser Land eigene Regelungen zu finden. Diese könnten dann in Bezug auf Organisationen, die Suizidbegleitung im größeren Stil anbieten wollten, umfangreiche Schutzregelungen vorsehen und zugleich einfachere Regelungen z.B. für Ärztinnen und Ärzte, die ihren eigenen Patientinnen und Patienten diese Form von Unterstützung nicht versagen wollen.

Wichtig sind mir in diesem Zusammenhang drei Punkte: Zum einen dürfen alle Erleichterungen rund um den assistierten Suizid nicht dazu führen, dass die Bemühungen um ein besseres Leben reduziert werden. Das betrifft neben der persönlichen Beratung insbesondere den Ausbau einer guten palliativmedizinischen und psychiatrischen Versorgung und insgesamt der sozialen Absicherung in Alter und Pflegebedürftigkeit.

Zum anderen sollte das Verbot der Tötung auf Verlangen erhalten werden. Die Differenz zum assistierten Suizid liegt ja darin, dass bei der Tötung auf Verlangen der letzte Schritt, der zum Tode führt, von einer dritten Person getan wird. Und auch wenn das kein völlig grundlegender, sondern nur ein gradueller Unterschied zum assistierten Suizid ist, halte ich die bisherige Entscheidung des Gesetzgebers, gerade hier die Grenze zu ziehen, für sehr sinnvoll. Wenn jemand wirklich aus dem Leben scheiden will, dann sollte er das niemand anderes für sich machen lassen können, sondern sollte es selbst aktiv tun müssen. So kann er bis zum Schluss hinspüren, ob er wirklich so aus dem Leben scheiden will und macht auch  physisch klar, dass er oder sie selbst es ist, die diesen Schritt tut.

Schließlich sollte sowohl in der Ausgestaltung zukünftiger Regelungen wie auch in der Diskussion darüber darauf geachtet werden, dass es sowohl faktisch nicht zu leicht wird, sich schnell das Leben zu nehmen, und dass auch insgesamt um ein gesellschaftliches Bewusstsein gerungen wird, dass es nicht  der „normale” Weg ist,  auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden.

 

5 Gedanken zu „Ein Votum für Selbstbestimmung

  1. In einer Zeit, in der ich als Krankenhauspfarrerin oft miterlebe, wie alte und hochbetagte Menschen, die gerne sterben möchten, den „Ausgang“ aus diesem Leben einfach nicht finden, weil die Medizin, die Ärzte ihn ihnen versperren … plädiere ich sehr für Offenheit, Patientenwunsch und die Information/das Anbieten von so etwas wie „Sterbefasten“, was eine „weiche“ Methode ist, sich aus dem Leben zu schleichen, wenn frau oder man genug davon haben, warum auch immer …

    Like

  2. Letztendlich ist Suizid ein „normaler“ Weg zu sterben. Suizid ist Teil unseres Menschseins. Schon immer gewesen. Deswegen finde ich die These absurd, dass Suizid nicht ein normaler Weg des Sterbens werden solle. Es passiert so oder so. Nichtsdestotrotz finde ich, ist Suizid kein wünschenswerter Weg in den Tod und es sollte stets alles menschenmögliche getan werden, dass man auf diese Entscheidung verzichten kann.

    Like

  3. Pingback: Freiheit in Verantwortung: eine evangelische Position zum assistierten Suizid | Zur Freiheit berufen

  4. Pingback: Brauchen wir ein Gesetz zum assistierten Suizid? | Zur Freiheit berufen

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s