Seit vielen Jahren befasse ich mich mit dem Thema Organspende und habe mich immer bemüht, einen Überblick über die aktuellen Diskussionen zu bekommen. Dennoch bin ich erst kürzlich in einem Artikel in der FR (https://www.fr.de/wissen/gruendliche-aufklaerung-tut-not-91475441.html) darauf gestoßen, dass auch die Lebendspende einer Niere (und nicht, wie sonst oft behauptet, nur eines Leberteils) mit nicht unerheblichen Risiken verbunden ist.
Und ich vermute, ich bin damit nicht allein, denn auf vielen Webseiten und in vielen Publikationen finden sich Aussagen wie diese:
„Was die Lebendnierenspende betrifft, so gilt im Allgemeinen die Nierenentnahme für den Spender als ungefährlich und seine Genesungsaussichten sind sehr gut. Das Risiko, an den Folgen einer Nierenentnahme zu sterben, ist mit 0,03 bis 0,06 % äußerst gering. Wie bei jedem chirurgischen Eingriff können Komplikationen auftreten. Dazu gehören z. B. Wundinfekte, Harnwegsinfekte, Venenentzündungen und vereinzelt auch Lungenembolien oder Wundblutungen. All dies ist in aller Regel gut behandelbar und bleibt ohne Langzeitfolgen. Als Spätkomplikationen können Schmerzen oder Gefühllosigkeit im Narbenbereich auftreten. Im Normalfall muss der Spender jedoch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen fürchten und die verbliebene Niere übernimmt weitgehend die Funktion der entfernten Niere mit (…)
In der Regel muss der Spender 10 bis 14 Tage im Krankenhaus verbleiben. Nach vier bis sechs Wochen Schonung sind die meisten arbeitsfähig. Wer in seinem Beruf schwere Lasten heben muss, sollte sechs bis acht Wochen krankgeschrieben werden. Die vollständige Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist innerhalb von 2 Monaten nach der Operation zu erwarten.“
https://www.bgv-transplantation.de/lebendspende.html

Solche Stellungnahmen erwecken den Eindruck, dass die Nierenspende im Prinzip eine problemlose Sache sei, die nur mit größtem Pech zu Komplikationen führen könnte.
Dagegen benennt der Verein „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e.V.“ nach Erfahrung seiner Mitglieder und mit Verweis auf verschiedene internationale Studien neben den üblichen OP-Risiken folgende Probleme (ich zitiere aus einem Vortrag seines Vorsitzenden Ralf Zietz vom 29.6.21):
- Fatigue-Syndrom (verwiesen wird u. a. auf Studien, die sagen, dass zwischen 8 und 17% der Spender*innen langfristig an einem Fatigue-Syndrom leiden, S. 13, Studien S. 40ff.),
- reduzierte Nierenfunktion mit Risiko von kognitiven Einschränkungen (abhängig von der Ausgangssituation) (S. 15f.), je nach Studie seien zwischen 12% und 45% der Nierenlebendspender nach der Entnahme dem Stadium III der Chronic Kidney Disease zuzuordnen (Studien S. 45ff),
- gesteigertes Risiko von Bluthochdruck und andere kardialen Beschwerden (S. 20, Studien S. 49),
- bei jüngeren Spender*innen eine verkürzte Lebenserwartung (S. 19f, Studien S. 48.),
- bei männlichen Spendern vorübergehende (aber durchaus über ein Jahr anhaltende) Hodenschmerzen (30 %) und Hodenschwellungen (15 %) (S. 10, nach einer Studie, benannt auf S. 50)
- höheres Fehlgeburtenrisiko bei weiblichen Spenderinnen (S. 10, keine Quelle benannt),
- psychosoziale Probleme (S. 21f., keine Studien zitiert.).