Wenn Fremde sich begegnen: Geschichten gegen den Hass

Vor einiger Zeit habe ich ein Buch geschenkt bekommen, das mich beim Lesen zu faszinieren begann: Bastian Berbner, 180 Grad, Geschichten gegen den Hass, erschienen 2019 bei C.H. Beck.

Sein Autor, Redakteur bei der Zeit, setzt sich mit den Polarisierungen auseinander, die unsere Gesellschaften immer weiter auseinanderreißen. Was ihn daran besonders interessiert, ist der Einfluss der Vorurteile. Sie sieht er zu einem wichtigen Teil als durch die Medienberichterstattung gefördert (S. 56ff), denn unser Denken und Fühlen werde entscheidend durch die Informationen geprägt, die uns im Moment im Bewusstsein sind. Und das, was die meisten Medien berichteten, sei eben nur eine sehr spezifische Auswahl der Wirklichkeit, eine, in der Terrorismus oder auch akute Katastrophen oder andere spektakuläre bad news bei weitem überrepräsentiert seien.

Was er dagegensetzt, sind Beispiele, in denen Menschen unterschiedlicher Gruppen sich mehr oder weniger freiwillig oder gezwungen unter solchen Bedingungen begegnen, dass sie einander mit ihrer jeweils individuellen Lebenssituation und Lebensgeschichte kennenlernen und sie die Vorurteile über die jeweils andere Gruppe relativieren können bzw. sie auf die Unterschiede reduzieren, die zwischen ihnen tatsächlich vorhanden sind.

Zu den Beispielen gehören ein Wohnprojekt in der Schweiz, das darauf angelegt ist, dass dort Menschen ganz unterschiedlicher Lebensweise in ihrem Alltag regelmäßig miteinander zu tun haben (S. 139ff), ein bis dahin von Ausländer*innen in ihrer Umgebung genervtes Ehepaar, das sich mit ihren direkten Nachbarn (Flüchtlinge aus Serbien) anfreundet und sich für sie engagiert (S. 12ff), der Vielvölkerstaat Botswana, der es durch regelmäßige Versetzung seiner Beamt*innen durch das ganze Land hindurch verhindert hat, dass es zu ernsthaften ethnischen Spaltungen gekommen wäre (S.170ff), und das Projekt in Århus, wo ein Polizist junge Menschen, die zum IS nach Syrien ausgereist waren und wiederkamen, in die Gesellschaft zurückholt, indem er ihnen freundlich, interessiert und mit Respekt begegnet (S. 80.)

Persönlich am faszinierendsten empfand ich den Weg Irlands, Verfassungsänderungen so vorzubereiten, dass sie von einer zufällig ausgelosten Versammlung von Bürger*innen diskutiert und dann dem Parlament bzw. zur Volksabstimmung vorgelegt wurden. Hier erzählt Berbner wie sich dabei zwei Männer kennen und in ihrer jeweiligen Situation verstehen lernen, sodass eine wirkliche Verständigung stattfinden kann: ein schwulen jungen Mann und ein heterosexueller älterer, der in seiner Jugend von einem schwulen Mann sexuell missbraucht worden war. Die beiden saßen immer wieder in Beratungen zu wichtigen Fragen zusammen und irgendwann konnten sie so miteinander reden, dass der junge Mann sich die Vorurteile des älteren erklären konnte und dieser wiederum auch emotional den Unterschied zwischem schwulen und pädophilem Verhalten verstand (S. 124). Mich hat dieses Beispiel sehr beeindruckt und ich frage mich auch darüber hinaus, ob der von Berbner zitierte Satz des Aristoteles nicht eine tiefe Wahrheit enthält: „So gilt es, will ich sagen, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt.” (Aristoteles, Politik, übers. von Eugen Rolfes, IV, 9, 1294b 7–9, Hamburg 19814, S. 142 zitiert nach https://www.bpb.de/apuz/191195/losverfahren-ein-beitrag-zur-staerkung-der-demokratie?p=all#footnode14-14, gefunden bei Berbner, S.127.) Aber diesen Gedanken zu verfolgen, wäre sicher einen weiteren Post wert.

Insgesamt ist das Buch auf jeden Fall geeignet zum Nachdenken anzuregen, zumal es sowohl auch sozialpsychologische Theorien zum Thema mitliefert wie auch die Grenzen des Kontakts nicht verschweigt. So erzählt es auch von einem Beispiel, in dem das erzwungene Sich-Kennenlernen unter den Extrembedingungen von gemeinsamer Geiselhaft gerade nicht zur Solidarität, sondern zu tiefer Antipathie geführt hat.

Und so ist dieser gut lesbare Band von gut 200 Seiten sicher ein schönes Weihnachtsgeschenk für am Thema interessierte Menschen, eröffnet er doch einen Blick auf eines der zentralen Themen dieses Festes: (Eine Chance für mehr) Frieden auf Erden.

Seine Geschichten finden sich im Übrigen auch als Podcast unter http://www.hundert-achtzig.de.