Brauchen wir ein Gesetz zum assistierten Suizid?

Seitdem das Bundesverfassungsgericht vor mehr als 3 Jahren entschieden hat, dass der $ 217 in der damaligen Form verfassungswidrig war und deshalb ab sofort ohne Wirkung, hat sich die Frage gestellt, ob es gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung der Begleitungsmöglichkeiten von Suizidwilligen und zur Prävention geben sollte, so wie sie auch das Bundesverfassungsgericht als Möglichkeit benannt hatte. Auch ich habe das in meiner Würdigung des Urteils so bedacht.

Drei interfraktionelle Gruppen im Bundestag haben unterschiedliche Gesetzentwürfe dazu erarbeitet und darüber in einer ersten Anhörung im November 2022 darüber beraten.

Nun aber mehren sich Stimmen von Experten, die sich für einen Verzicht einer weiteren gesetzlichen Regelung einsetzen. Dazu gehören die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) von November 2022 und ein Votum, das der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Erlanger Theologie-Professor Peter Dabrock, zusammen mit dem Theologen Reiner Anselm, der Palliativmedizinerin und Klinikdirektorin Claudia Bausewein und dem Staatsrechtler Wolfram Höfling, der früher ebenfalls dem Ethikrat angehört hat, erarbeitet haben (vgl. den Bericht im Online-Magazin „Sonntagsblatt“).

Die DGP schreibt u. a.:

„Für Betroffene wie professionell Tätige bedeutet die aktuelle rechtliche Lage ein Maximum an Freiheit und Selbstbestimmung. Für die Ärztin/den Arzt geht dies mit einer großen Verantwortung und unter Umständen auch mit erheblichen Rollenkonflikten einher. Angesichts der Tragweite einer Entschei-
dung zur Suizidassistenz erscheint dies allerdings eine zu akzeptierende und eventuell sogar notwendige Zumutung.“

A. a. O. S. 7.

Sie fährt dann fort:

„Einem Menschen beim Suizid zu helfen kann nach unserer Überzeugung keine ärztliche Aufgabe mit einem entsprechend anderer medizinischer Maßnahmen hinterlegten Prozedurenkatalog sein, sondern ist immer Resultat einer persönlichen Einlassung.“

Dementsprechend wehrt sich die DGP dagegen, die Hilfe beim Suizid zu einer mehr oder weniger normalen medizinischen Leistung mit entsprechenden Kriterien zu machen. Qualitätskriterium sei vielmehr die „individuelle Beziehungsebene und das daraus resultierende Verständnis für die Not des Gegenübers“, auch, wenn „das gleichzeitig die Gefahr der Verzerrung bei fehlender Objektivität und Objektivierbarkeit“ berge (ebd.). Dies sei ein nicht auflösbares Dilemma.

Statt einer schnellen Gesetzgebung fordert sie ein Spektrum anderer Maßnahmen wie der Förderung der Suizidprävention, des Ausbaues der Palliativmedizin und Hospizarbeit und des öffentlichen Diskurses über Tod und Sterben (a.a.O. S. 10.).

Peter Dabrocks Argumentation geht in dieselbe Richtung. Er weist darauf hin, dass es nach dem Gerichtsurteil keinen Dammbruch bezüglich des assistierten Suizids gegeben habe, und fürchtet durch alle drei Gesetzentwürfe eine Bürokratisierung der Situation. Das Urteil hätte Änderungen im Standesrecht der Ärzteschaft zur Folge gehabt, sodass Ärzt*innen nun frei seien, in eigener Verantwortung zu entscheiden und dies nach seiner Beobachtung auch insgesamt in einer guten Weise täten. So sei es falsch, „durch Strafandrohungen für Ärztinnen und Ärzte diese Möglichkeiten aufs Spiel zu setzen.“

Sowohl die DGP (a.a.O. S.1.) wie auch Dabrock befürchten im Übrigen eine Stärkung der Sterbehilfevereine, wenn die Gesetzentwürfe umgesetzt würden.

Wie stehe ich selbst zu diesen Überlegungen?

Fakt ist, dass die verschiedenen Suizidhilfeorganisationen ihre Arbeit in Deutschland schon bald nach dem Urteil aufgenommen haben und daraus in der Öffentlichkeit auch keinen Hehl machten (vgl. z. B. die Zusammenstellung der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschlan (FoWiD) von 2021). Bei der Bewertung dieser Tatsache teile ich die Einschätzung, dass zurzeit kein „Dammbruch“ erfolgt, also keine massenhafte Zunahme der assistierten Suizide. Aber natürlich gibt es über die Gesamtzahl der assistierten Suizide (also einschließlich derer aus dem ärztlichen Bereich jenseits von Sterbehilfeorganisationen) meines Wissens nach keine belastbaren Zahlen. Deshalb fordert die DGP auch die Erfassung aller assistierten Suizide in der Todesursachenstatistik (a.a.O. S. 10).

Trotzdem hat die augenblickliche Rechtslage für mich viele positive Aspekte. Gerade dadurch, dass die Wege nicht geregelt sind, ist sie Ausdruck dessen, dass der Suizid, auch der assistierte, kein „normaler“ Weg ist, aus dem Leben zu scheiden, und erlaubt ihn zugleich für diejenigen, die wirklich dazu entschlossen sind. Das begrüße ich ausdrücklich.

Wahrscheinlich unvermeidliche Konsequenz dessen ist, dass ich als sterbewillige Person – unabhängig von meiner eigenen Situation – an einen Arzt oder eine Ärztin geraten kann, die aus grundlegenden Überzeugungen jegliche Mitwirkung am Suizid ablehnt. Da es dann naheliegt, sich an eine Sterbehilfeorganisation zu wenden, vermute ich, dass auch die jetzige Rechtslage diese auf Dauer stärken wird.

Ob das negativ ist, hängt aus meiner Sicht vom konkreten Verhalten dieser Organisationen ab. Dass sie ihre Dienste anbieten, reduziert die Auswirkung der Zufälligkeit, auf welchen Arzt oder welche Ärztin ich als Sterbewillige treffe, und ist von daher eher ein positiver Aspekt. Und – zumindest, wenn man ihre Webseiten ernstnehmen kann, – scheinen sie auch im Rahmen des Möglichen die Ernsthaftigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Entschlusses der Suizidant*innen sicherzustellen.

Erst einmal kritischer sehe ich die geforderten finanziellen Beträge (z. B. beim Verein Sterbehilfe zwischen 2000 und 7000 Euro), bei der DGHS wohl 4000 Euro (vgl. die Zusammenstellung der FoWiD). Dass sich die beteiligten Fachleute ihre (ja auch verantwortliche) Arbeit honorieren lassen, empfinde ich dabei als selbstverständlich. Ob die jeweilige Höhe angemessen ist, verlangt aus meiner Sicht nach weiteren Untersuchungen.

Dass sich auch da ein gewisser Markt etabliert hat, ist die wahrscheinlich zwangsläufige Konsequenz des bisherigen Verhaltens des Gesetzgebers, den Bereich nicht staatlich zu gestalten. Im Moment könnte ich das auch für die nähere Zukunft gut hinnehmen und schlage vor, die von der DGP und Dabrock vorgeschlagenen Maßnahmen zur Suizidprävention umzusetzen und die Lage weiter zu beobachten.

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