Keiner überzeugt

Zu den Gesetzentwürfen des Bundestages zum begleiteten Suizid

Vor gut einem Jahr habe ich hier im Post „Das Augenmaß wahren“ schon einmal meine grundsätzlichen Gedanken zum Thema assistierter Suizid benannt. Inzwischen hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 2. Juli vier Gesetzesentwürfe debattiert, die ich im Folgenden kommentieren will.

BUNDESTAG BERLIN GERMANY JUNE 2013 (9130959126)

Die Drucksache 18/5373 sieht ein Verbot jedweder (also auch nicht kommerzieller) geschäftsmäßiger Unterstützung der Selbsttötung vor. Mir erscheint das überzogen. Ich begrüße, dass die Begleitung Sterbewilliger nicht zum Gewerbe gemacht werden soll, aber ich sehe keinen Bedarf, auch nichtkommerzielle Organisationen zu verfolgen, die aus anderen Motiven ihre Überzeugungen verbreiten und leben. Da auch ohne solch ein Gesetz die Verfügbarkeit entsprechender Mittel in Deutschland nicht erhöht würde, würde es sich in der Praxis wohl vor allem gegen die Vermittlung von potentiell den Suizid Suchenden in Nachbarländer richten. Nach meiner Erfahrung ist aber die Vorstellung, in ein Nachbarland gehen zu können und dort mit Hilfe sein Leben zu beenden, für nicht wenige Menschen eine Möglichkeit, mit ihrem Leiden zu leben. Umgekehrt erscheint sie mir für die, die sie wirklich nutzen, als hochschwelliger, aber nicht würdeloser Weg, gemäß ihrer Überzeugung ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Ich sehe keine Erfordernis, die Mitarbeit in Organisationen, die diese Option verbreiten, unter Strafe zu stellen.

Erst recht überzogen erscheint mir der Gesetzentwurf Drucksache 18/5376, der jegliche Teilnahme an einer Selbsttötung mit einer Haftstrafe bis zu 5 Jahren bedroht und damit der Tötung auf Verlangen gleichstellt. Er stellt den Schutz des Lebens weit über das Autonomieprinzip und wird entsprechend von vielen als Bevormundung empfunden werden. Umgekehrt verwischt er aber eben auch die Grenze zur Tötung auf Verlangen, und könnte damit im Einzelfall oder in der weiteren Entwicklung gegen seinen Willen der „aktiven Sterbehilfe“ Vorschub leisten.

Den Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (Drucksache 18/5375) sehe ich zwiespältig. Wenn man die Dinge aus einer Grauzone herausholen will, scheint er mir in vielen Teilen gut gemacht zu sein. Er schließt kommerzielle Interessen aus, schreibt sinnvolle Beratungen und Dokumentationen vor, betont für Ärzte die Freiwilligkeit ihrer Mitwirkung und fordert schließlich noch eine Überprüfung seiner Auswirkungen. Alles aus meiner Sicht sinnvolle Dinge.

Eine wichtige Änderung zur bestehenden Rechtslage wäre dabei der Passus, der es den Standesverbänden der Ärzte verbietet, die Mitwirkung ihrer Mitglieder beim assistierten Suizid zu untersagen. Das würde an dieser Stelle den Druck auf Ärzte, die nicht an einem Suizid mitwirken wollen, erhöhen (und umgekehrt Ärzten, die das als ihre Pflicht sehen, helfen, ihrem Gewissen entsprechend zu handeln). Das Eintreten für ein (auch behindertes) Leben würde an dieser Stelle individualisiert, aus den gesetzlichen oder standesethischen Verpflichtungen herausgenommen. Dies passt zur Tendenz, die Autonomie der Menschen zu stärken, sie also in ihren persönlichen Dingen weniger zu reglementieren, solange sie Dritten nicht schaden. In der Praxis erlebe ich es, dass Menschen mit der damit verbundenen Selbstverantwortung (z. B. bei der Auseinandersetzung mit schweren Diagnosen und Therapieentscheidungen) sehr unterschiedlich umgehen; was da die einen fordern, ist für die anderen ein Gräuel, weil es sie (emotional oder auch intellektuell) absolut überfordert.

Auffällig ist, dass der Gesetzentwurf darauf verzichtet, irgendwelche inhaltlichen Vorgaben für den Wunsch zu sterben zu machen (wie z. B. eine fortgeschrittene unheilbare Krankheit), sondern nur darauf abhebt, dass der „Wunsch zur Selbsttötung freiverantwortlich gefasst und geäußert“ (§3, Abs. 1) wurde. Das ist einerseits anerkennenswert, denn so verzichtet er darauf, bestimmte Lebensformen als weniger lebenswert zu qualifizieren als andere. Umgekehrt stellt er die Helfenden vor die schwere Aufgabe, herauszufinden, ob bzw. wie freiverantwortlich diese Entscheidung war. Der Gesetzentwurf verweist dazu auf eine obligatorische ärztliche Beratung, nicht aber auf eine psychiatrische oder psychologische Untersuchung. Näheres soll durch eine Verordnung bestimmt werden, aber ich stelle es mir sehr schwer vor, ein Beratungsgespräch so zu führen, in dem ich nicht nur mit dem Rat suchenden Menschen gemeinsam überlegen kann, welcher Weg für ihn der richtige ist, sondern immer auch noch (offen oder verdeckt) prüfen muss, ob mein Gegenüber überhaupt in der Lage ist, selbstbestimmt eine Entscheidung zu fällen.

Der vierte Gesetzentwurf (Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), Bundestagsdrucksache 18/5374) geht einen anderen Weg als die drei anderen, da er das Strafgesetz nicht verändern will und so auch kommerzielle Sterbehilfeorganisationen nicht verbietet. Er will über das BGB standesrechtliche Bestimmungen der Ärztekammern aushebeln und zugleich die Mitwirkung von Ärzten auf solche Patienten beschränken, deren unheilbare Erkrankung voraussichtlich unumkehrbar zum Tod führen wird. Bei dieser Mitwirkung schreibt er das 4-Augen-Prinzip vor, ohne festzulegen, wie abweichendes Verhalten sanktioniert werden soll.

Im Prinzip stellen sich hier ähnliche Fragen wie beim vorigen Entwurf, wobei hier aber ausdrücklich gefordert wird, im Gespräch mit dem Arzt die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen. Für mein Rechtsempfinden müsste aber schon benannt werden, welche Folgen ein rechtswidriges Verhalten in diesem Fall haben sollte.

Betrachte ich alle vier Entwürfe, finde ich keinen wirklich überzeugend. Ich möchte weder, dass der Gesetzgeber ein Zeichen gibt, dass die Suizidbegleitung ärztliche Aufgabe sei (und damit den Standesverbänden die Freiheit nehmen, gegensätzliche Beschlüsse zu fassen), noch sehe ich eine Notwendigkeit, das Strafrecht in dem Maß zu verschärfen, wie es die ersten beiden Entwürfe tun. Mein Plädoyer wäre, entweder auf eine neue gesetzliche Regelung ganz zu verzichten oder höchstens die kommerzielle Unterstützung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen, denn mir scheint der Kompromiss, den unsere Gesellschaft im Umgang mit diesem Thema in den letzten Jahrzehnten faktisch gefunden hat, noch immer tragfähig.

Ein Gedanke zu „Keiner überzeugt

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