Als ich kürzlich auf meinen Großneffen, nennen wir ihn Frodo, traf, stellte er mir beim Abendessen im großen Familienkreis die Frage: Hanno, glaubst du an Gott? Dazu muss man wissen, dass Frodo zur atheistischen Fraktion der großen Familie meiner Frau gehört, im Konfirmandenalter ist, nicht getauft, aber äußert aufgeweckt und an allen philosophischen Fragen interessiert. „Klar“, sage ich, „klar glaube ich an Gott.“ „Warum?“, fragt er. „Warum nicht?“, gebe ich zurück, und erzähle dann etwas von dem, was mich zum Glauben gebracht hat.
Schnell entspannt sich eine muntere Diskussion: „Glaubst du auch an Geister?“ Und sein Vater meint, klar könne man Gottes Nicht-Existenz nicht beweisen, das könne man aber auch nicht mit der Nicht-Existenz von Elfen. Das sei aber kein Grund, die Existenz von Elfen ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Tanzende Elfen, Gemälde von August Malmström, 1866
Spätestens hier merke ich, dass die Frage an den Glauben an Gott mehr Zeit und Tiefe braucht, als zwischen zwei Gängen möglich ist, und dass sie mich inspiriert, auch noch einmal selber nachzudenken, nachzufühlen und meine Haltung präziser zu beschreiben.
Ergebnis ist dieser Brief:
Lieber Frodo,
du hast mich gefragt, ob ich an Gott glaube. Ich habe das spontan bejaht, aber du hast gemerkt, dass es mir nicht leicht fiel, genau zu sagen, was ich damit meine. Da ich aber möchte, dass du eine Chance hast, zu verstehen, was Christen wirklich denken, will ich versuchen, meine Gedanken noch einmal zu präzisieren.
Wie du ja weißt, glauben Christen, dass Gott diese Welt geschaffen hat. Und die aufgeklärteren meinen damit nicht nur diese Erde, sondern das Universum als Ganzes. Also möglicherweise den Urknall, auf jeden Fall aber Raum und Zeit. Und damit ist klar, dass Gott nicht einfach ein Wesen in Raum und Zeit sein kann, denn dann wäre er ja nicht der Schöpfer von Raum und Zeit. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von allen Wesen dieses Universums, Löwen und Elfen, Menschen und Dinosauriern.
Gott ist aus meiner Sicht der „Grund“ des Universums, seine „erste Ursache“, die in ihm wirkende Kraft. (Wobei man sagen muss, dass all diese Begriffe symbolisch zu verstehen sind, denn Kraft oder zeitliche Reihenfolge setzen ja schon das Universum mit seinen Gesetzlichkeiten voraus.)
Damit wird eine Aussage über Gott eher eine Aussage über diese Welt. Für mich heißt, dass Gott die Welt geschaffen hat, dass sie so ist, wie in der Bibel beschrieben: von ihrem Wesen her gut (vgl. 1. Mose 1). Dass nicht das Chaos siegen wird, sondern das, was als Liebe bezeichnet wird. Dass es sich lohnt, sich für andere Menschen einzusetzen und dass ich im Leben und Sterben von einer Kraft getragen bin, die meine Kräfte übersteigt: eine Kraft, die ich nicht erzwingen und über die ich nicht verfügen kann, eine Kraft, die mich mit anderen Menschen und anderen Wesen überhaupt verbindet, eine Kraft, zu der ich im Tod zurückkehre.
Nun fragst du vielleicht, welchen Sinn es hat, wenn Gott so anders ist, ihn dennoch mit einem Begriff zu belegen, der an eine Person erinnert und ihn im Glauben in vielfältiger Weise als Person anzureden.
Die Antwort ist einfach: Das liegt an unseren menschlichen Gehirnen. Durch die Evolution ist unser Geist so geformt, dass er in der Lage ist, die Dinge auf der Erde zu verstehen und das Leben hier zu organisieren, nicht aber die Struktur des Universums insgesamt und die Details seiner Entstehung zu durchdringen. In manchem kann er z. B. mit Hilfe der Mathematik über sich hinauswachsen, dennoch – gerade auch gefühlsmäßig – bleibt er von dem abhängig, was, sich in seiner Entwicklung über Jahrmillionen bis heute ergeben hat.
Meine Erfahrung ist, für viele Menschen (nicht für alle) ist es eine Hilfe, zumindest zwischenzeitlich Gott als Person zu begreifen, ihn sich so vorzustellen, ihn so anzureden. So wie Jesus ihn als Vater bezeichnet hat. Aber es hat immer auch andere Traditionen gegeben, insbesondere auch in der Mystik, die einen nicht-personalen Gottesbegriff haben und betonen, dass man Gott letztlich nicht in Worte fassen kann (und damit auch eine zentrale biblische Aussage radikalisieren, die es den Menschen verbietet, ein Abbild von Gott zu machen und dieses anzubeten, vgl. 2. Mose 20,4).
Doch auch alle mystischen Erfahrungen müssen letztlich durch die Engstelle unseres Gehirns (oder unseres Körpers oder welcher Apparat genau für unsere Empfindungen im Einzelnen zuständig ist) hindurch. Von daher sind auch sie wie alle Gotteserfahrungen aus meiner Sicht immer indirekt, und von daher haben auch alle anderen Weisen von Gott zu reden ihr Recht, solange sie dazu dienen die oben beschriebenen Grunderfahrungen menschlichen Daseins auszudrücken.
Der Glaube an Gott besteht also nicht in dem abstrakten Für-Wahr-Halten, dass ein Wesen Gott ist. Er ist auch nicht das literarische Spiel, wie eine Welt voller Elfen wäre, sondern er ist die auch gefühlsmäßige Überzeugung, dass die Welt von einer göttlichen Kraft, wie ich sie oben beschrieben habe, durchdrungen ist. Und diese Erfahrung von Gottes Gegenwart kann das Leben von Menschen in sehr positiver Weise verändern.
Das habe ich bei Menschen wie Paulus, Martin Luther, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela, aber eben auch bei wenig bekannten in meiner Umgebung und auch bei mir selbst erlebt. Von daher sage ich: „Ich glaube an Gott“. Und der breite Schatz der Bibel und der jüdisch-christlichen Tradition, gerade auch in der Variante des aufgeklärten Protestantismus (mit seiner wissenschaftlichen Theologie, die eine rationale Auseinandersetzung mit der Bibel und den Glaubensinhalten fordert und das eigene Denken fördert), hilft mir, diese Erfahrungen zu verstehen und zu leben. Von daher bin ich gerne evangelischer Christ und Pfarrer.
Das hindert mich nicht daran, mit Menschen, die andere Hintergründe haben, zusammenzuarbeiten (oder auch zusammen zu beten oder zu meditieren), doch das evangelische Christentum ist meine Heimat – bei all dem Fragwürdigen und Schlimmen, was es auch hervorgebracht hat -, und ich bin der Überzeugung, unser Land und unsere Welt wäre erheblich ärmer, wenn es diese Kraft nicht mehr gäbe.
So viel von mir. Über eine Rückmeldung (gern auch kritische Fragen) würde ich mich freuen.
Herzliche Grüße
Hanno
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