Kann Leiden stark machen?

Vor einiger Zeit sprach Traugott Roser auf dem Jubiläum der Hospizgruppe am Lukas-Krankenhaus Bünde über Resilienz. Dabei beschrieb er, dass zu den Faktoren, die es leichter machen, belastende Dinge gut zu überstehen, der Umgang mit früheren Erfahrungen von Leid und Schmerz gehören kann. In dem Zusammenhang erzählte er von einer älteren Frau, die schon zwei Kinder verloren hatte und der man dann auch noch mitteilen musste, dass auch ihr Mann gestorben war. Alle befürchteten, dass sie unter dieser Nachricht zusammenbrechen würde; aber sie konnte sie dann deutlich gelassener nehmen, als die anderen es erwartet hatten und sagte, denn sie hätte gelernt, mit Schmerz zu leben.

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Fjord in Norwegen

Mich erinnert das an eine Patientin, ich nenne sie Frau A1, die ich selbst vor einiger Zeit betreut habe. Sie war Ende 40 und litt seit 5 Jahren an Krebs. Sie hatte sich in dieser Zeit immer wieder Chemotherapien unterzogen und ihre erste Prognose schon um dreieinhalb Jahre überlebt. Viele der Therapien waren belastend gewesen, aber Frau A. hatte dies hingenommen und zugleich darauf bestanden, dass sich das Leben weiter lohnen solle. So hatte sie sich z.B. einen Lebenstraum verwirklicht und eine Kreuzfahrt auf der Hurtigruten unternommen, auch wenn sie dabei zwischenzeitlich auf einen Rollstuhl angewiesen war.

Im Gespräch wurde ihr Hintergrund deutlich: „Ich bin Kämpferin. Seit 18 Jahren habe ich MS. Dadurch habe ich manche Einschränkung. Aber ich habe auch gelernt, mir mein Leben nicht kaputtmachen zu lassen. Und unter permanenter Chemotherapie spielt die MS jetzt sowieso keine Rolle mehr.“

Mich hat das sehr beeindruckt. Und natürlich ist es kein Naturgesetz, dass erfahrenes Leid hilft, neues zu bewältigen. Es gibt schon auch das andere, dass der alte Schmerz die Fähigkeiten zur Verarbeitung fast erschöpft hat, so dass das neue Leid das Fass zum Überlaufen bringt und so Menschen völlig zusammenbrechen. Das geschieht, aber nicht so oft, wie man meinen könnte.

Und das ist ja auch nachvollziehbar. Wenn ich es gelernt habe, mit Leiden umzugehen, wenn ich trotz Belastungen Spielräume für mich erkämpft und einen Sinn in meinem Leben gefunden habe, dann habe ich realistischere Erwartungen an die Welt. Dann weiß ich, dass Leiden zum Leben dazugehören kann und dass ich in der Regel darin trotzdem nicht völlig ohnmächtig bin. Dann habe ich einen Erklärungsrahmen und vielleicht auch Handlungsstrategien, auch mit neuen Belastungen umzugehen.

Was das für eine Begleitung vielfach belasteter Menschen heißt? Offen bleiben für den Einzelfall. Genau hinsehen. Genau hinhören. Das würdigen, was ist – die Belastungen genauso wie die Bewältigungsstrategien. Das innere Zutrauen behalten, dass die andere ihren Weg finden kann, mit der Situation klarzukommen. Ihm oder ihr von diesem Zutrauen so viel mitteilen, wie zu der Situation und der Beziehung passt.

Und sich auch selbst stärken lassen von den Beispielen, wie andere ihren Weg gefunden haben, in schwierigen Situationen ihr Leben zu gestalten.

 1 Aus Datenschutzgründen sind die Einzelheiten des Falles verändert.

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