Fasten bis zum Tode – eine Form des Suizids?

Set einiger Zeit wird über ein Phänomen diskutiert, bei dem ich nicht genau weiß, ob es neu oder nur neu ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geraten ist: der bewusste freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, um sein Leben zu beenden.

Menschen haben wohl in der Nähe des Todes schon immer das Essen und z.T. auch das Trinken eingestellt. Dies ist ein physiologisch stimmiger Prozess, weil der sterbende Körper keine Nahrung und Flüssigkeit mehr braucht und der Verzicht darauf nicht die Ursache, sondern das Anzeichen des nahen Todes ist.

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Beim sogenannten Sterbefasten geht es im Gegensatz dazu um den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu einem Zeitpunkt, an dem der Tod noch nicht unmittelbar bevorsteht und der Verzicht eine bewusste Entscheidung ist, den Eintritt des Todes beschleunigen zu wollen, so wie es z. B. in dem Film Sterbefasten -Freiheit zum Tode exemplarisch beschrieben wird. (Vgl. auch den lesenswerten Wikipedia-Artikel oder den Beitrag in der Frankfurter Rundschau vom 22.März.)

Den damit verbundenen ethischen Fragen galt auch eine gemeinsame Tagung des Zentrums für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in Hannover am 16.3.2017, an der ich teilgenommen habe und die mich zu diesem Artikel animiert hat.

Dabei haben mich drei Hauptfragen beschäftigt:

  1. Ist es sinnvoll, den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) als Suizid zu bezeichnen?
  2. Könnte eine z. B. palliativärztliche Begleitung eines solchen Menschen unter den neuen § 217 StGB fallen, der die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellt?
  3. Wie sollte man mit Menschen umgehen, die die Möglichkeit in Erwägung ziehen, das Ende ihres Lebens auf diese Weise zu beschleunigen?

Die erste Frage wurde in der Runde kontrovers diskutiert. Dabei ist zu beachten, dass es in Deutschland eine rechtliche Definition des Suizids nicht gibt. Die WHO definiert: „Suicide is the act of deliberately killing oneself.” 1, also „Suizid ist die Handlung, sich bewusst selbst zu töten.

Doch das klärt in diesem Zusammenhang nur wenig. Ist der bewusste freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit eine Handlung im oben beschriebenen Sinne? Und wie unterscheidet sie sich einerseits von dem Einnehmen eines tödlichen Stoffes oder einem aktiven Gewaltakt gegen das eigene Leben, was nach unserem Verständnis wohl immer als Suizid zu werten wäre, oder andererseits vom Verzicht auf lebensverlängernde medizinische Behandlung wie künstliche Beatmung, Dialyse oder künstliche Ernährung? Letzteres wird ja in unserem Rechtssystem und auch bei vielen Ethikern nicht als Suizid betrachtet.

In der Realität gibt es wohl ein kontinuierliches Spektrum zwischen zwei Polen. Der eine ist das Bemühen, das eigene Leben, wenn irgend möglich zu verlängern. Dazu gehören in gesunden Zeiten Gesundheitsvorsorge und gesunder Lebensstil, in Zeiten von Krankheit der entschlossene Einsatz aller medizinischen und nicht medizinischen Möglichkeiten das eigene Leben zu verlängern. Der andere Pol ist der gewaltsame Suizid.

Dazwischen liegen dann Verhaltensweisen wie das Unterlassen oder der Verzicht auf gesundheitsfördernde oder krankheitsbekämpfende Maßnahmen oder Verhaltensweisen, lebensverkürzende Praktiken wie vermehrter Tabak-, Alkohol- oder Drogenkonsum oder andere riskante Lebensstile, die Beendigung von lebensnotwendigen medizinischen Unterstützungsmaßnahmen wie Dialyse, künstliche Beatmung oder künstliche Ernährung und schließlich der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit.

Dieses Spektrum korrespondiert damit, dass nach meiner Erfahrung in den meisten Menschen Lebens- und Todeswünsche existieren, wobei ihre Intensität ebenso unterschiedlich ist wie  die Kraft, sie umzusetzen.

Von daher ist jede Definition wohl etwas willkürlich. Das heißt dann auch, dass es weniger darum geht, ob sie „stimmt”, als ob sie für ihren jeweiligen Zweck brauchbar ist. Das führt dann zu Fragen wie diesen:

  • Wollen wir, dass der Tod durch den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als unnatürlicher Tod betrachtet wird, so dass automatisch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden muss (mit dem Vorteil, dass die Freiwilligkeit kontrolliert würde, und dem Nachteil, dass dadurch massiv in den Prozess des Abschiednehmens eingegriffen würde)?
  • Wollen wir, dass bei einem solchen Tod dieselben Wartefristen bei einer Lebensversicherung greifen wie bei einem gewaltsamen Suizid?
  • Wollen wir, dass die geschäftsmäßige Förderung solch eines Todes unter den neuen Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches fällt und so mit Strafe bedroht wird?

Diese Fragen lassen sich sicher u .U. auch unterschiedlich beantworten und hier verlangt es aus meiner Sicht eher nach pragmatischen, denn nach grundsätzlichen Lösungen.

Die Möglichkeit einer Strafbarkeit einer ärztlichen Begleitung des FVNF nach § 217 StGB2 wird kontrovers diskutiert und weckt auf ärztlicher Seite Ängste, da man letztlich nicht sicher wissen kann, wie Staatsanwaltschaften und Gerichte reagieren werden.

Mir hat allerdings die Einschätzung von Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorstandmitglied der DGP eingeleuchtet, der auf der Tagung erklärte, er sähe nicht, dass Ärzte, die einen Patienten, der freiwillig auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten würde, begleiteten, sich dadurch strafbar machen würden.

Das Einstellen der Ernährung sei ein Akt, den faktisch jeder Mensch jederzeit tun könne. Dieser Akt selbst bräuchte (anders als z .B. das Herankommen an bestimmte Medikamente) keinerlei äußere Unterstützung. Umgekehrt sei Zwangsernährung außer im Strafvollzug in unserem Land nicht zulässig. Von daher verschaffe ein Arzt oder eine Ärztin, auch wenn sie eine Patientin berate, ihr nicht die Möglichkeit zur Selbsttötung. Die Linderung von eventuell auftretenden Symptomen sei dann wieder ärztliche Pflicht, nicht aber der Zwang zum Lebenserhalt gegen den Willen der Patientin.

Zusätzlich zeige eine ergebnisoffene Beratung über Möglichkeiten der weiteren Behandlung eines Patienten, selbst wenn diese den FVNF als eine Möglichkeit enthalte, ja nicht die Absicht des Arztes, die Selbsttötung des Patienten zu fördern, und falle damit auch nicht unter die Strafdrohung des Paragraphen.3

Mir leuchtet diese Argumentation sehr ein, aber letztlich werden das wohl die Gerichte klären müssen, und ggf. wäre dann wieder der Gesetzgeber gefordert, um Klärungen zu schaffen.

Bezüglich der dritten Frage, wie man mit Menschen umgehen soll, die einen solchen Schritt erwägen oder gar planen, gab es auf der Tagung eine gemeinsame Grundhaltung, nämlich offen mit ihnen zu sprechen. Bei solch einem Gespräch müsste es dann darum gehen, den Grund für den Todeswunsch zu bedenken, Alternativen zu überlegen, über die Konsequenzen dieser Handlung nachzudenken, Raum für die Ambivalenzen zu lassen, die fast in jedem Menschen in einer solchen Situation vorhanden sind, und dann letztlich die Entscheidung des Gegenübers zu akzeptieren.

Der Vorteil dieser Methode, sein Leben zu beenden, ist ja der, dass sie zumindest in der ersten Zeit reversibel ist und somit wenig Raum für Kurzschlussreaktionen bietet. Gerade der Wunsch zu trinken, ist ja ein im gesunden Körper tief verankertes Bedürfnis. Wenn jemand sich für diese Möglichkeit entscheidet und dabei bleibt, macht er aus meiner Sicht über den Zeitraum von mindestens einer Woche deutlich, dass er wirklich an dem Punkt ist, aus diesem Leben scheiden zu wollen.

Von daher erscheint es mir gesellschaftlich wichtig, diesen Weg offen zu lassen, indem sowohl die ärztliche als auch die menschliche Begleitung dabei nicht kriminalisiert oder anderweitig geächtet werden und die Menschen und ihre Angehörigen somit den best möglichen Beistand erfahren können.

Das schließt natürlich nicht aus, sich immer wieder für Lebensmöglichkeiten einzusetzen, wie ich es in meiner Seelsorge immer tun würde. Aber nach meiner Erfahrung ist ein Ja zum Leben oft leichter möglich, wenn auch ein Nein ein akzeptierter und gangbarer Weg wäre. Von daher stimme ich der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu, wenn sie in einer von ihr herausgegebenen Broschüre schreibt: „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit kann für einige Patienten eine mögliche Alternative sein. Auf diese Weise das Ende des eigenen Lebens herbeizuführen, dieses Vorhaben aber auch jederzeit unter- bzw. abbrechen zu können, ermöglicht diesen Patienten ein selbstbestimmtes Leben und Sterben.”4

Anmerkungen

2 § 217 StGB lautet: „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.” (Zitiert nach.: https://dejure.org/gesetze/StGB/217.html.)

3 Vgl. auch den Artikel „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB): Hinweise und Erläuterungen für die ärztliche Praxis.” in Bekanntmachung der Bundesärztekammer. Deutsches Ärzteblatt 2017; 114: A 334 – 336,  https://www.aerzteblatt.de/archiv/186360/Verbot-der-geschaeftsmaessigen-Foerderung-der-Selbsttoetung-(-217-StGB)- Hinweise-und-Erlaeuterungen-fuer-die-aerztliche-Praxis.

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