Hirntod = Ganztod? Zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrats

Am 24. Februar hat der Deutsche Ethikrat eine umfangreiche Stellungnahme zu Hirntod und Entscheidung zur Organspende veröffentlicht, in der er sich der wieder aufgebrochenen Debatte stellt, ob der Hirntod der Tod des Menschen ist, und ob er als Voraussetzung für eine Organentnahme ausreicht. Ausführlich werden dort verschiedene Todesverständnisse beschrieben, sich auf eines geeinigt und danach diskutiert, ob  der Hirntod ein Tod nach diesem Todesverständnis wäre und was das für die Organentnahme bedeutet. Nicht diskutiert werden Zweifel, wie kompetent und sicher die Hirntoddiagnostik in Deutschland zurzeit durchgeführt wird.

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Präpariertes menschliches Gehirn

Dabei sind sich die Mitglieder des Deutschen Ethikrats an vielen Punkten einig:

  1. Sie teilen ein Todesverständnis, nach dem der Tod nicht einfach mit dem Ausfall des Denkens und Empfindens eingetreten ist, sondern erst mit der fehlenden Integration der einzelnen Körperteile und -funktionen zu einem Ganzen.
  2. Sie sind sich einig, dass der vollständige, dauerhafte Ausfall aller Hirnfunktionen (also des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms) eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Tods eines Menschen ist.
  3. Sie sind sich ebenfalls einig, dass der so beschriebene Hirntod notwendiges und hinreichendes Kriterium dafür ist, dass bei Einwilligung des Spenders ein Organ entnommen werden darf.

Dissens herrscht darüber, ob der Hirntod wirklich den Tod des Menschen definiert und  bezüglich der Frage, ob Organe (abgesehen von den speziellen Regelungen von für den Spender nicht lebensnotwendigen Organen im Rahmen der Lebendspende) nur toten Menschen entnommen werden dürfen.

Dabei vertritt die Mehrheit (Position A) die Meinung, dass das Gehirn die organisierende Instanz des gesamten Körpers ist und somit dessen Totalausfall den Tod des ganzen Menschen markiert. Zugleich besteht sie darauf, dass die zurzeit bestehende gesetzliche Regelung, dass nur einem toten Menschen Organe entnommen werden dürfen (Dead-Donar-Rule), erhalten werden muss.

Die Minderheitenposition (Position B) vertritt dagegen die Auffassung, dass die Integration des Körpers nicht primär am Gehirn hängt, sondern ein komplexes System ist, das eine Fülle verschiedener Mechanismen und Regelkreise umfasst, von denen viele auch noch nach dem Ausfall des Hirns funktionieren können, so dass sie den Hirntod nicht als Tod des Menschen begreift. Dennoch ist sie der Überzeugung, dass eine Organentnahme bei einem hirntoten Menschen möglich sei, und ist deshalb bereit, die Dead-Donar-Rule aufzugeben.

Die Meinungen gehen dabei über die Professionsgrenzen hinweg, wobei die Mehrheitsmeinung in erster Linie von Medizinern, die Gegenposition B vor allem von Theologen und Juristen getragen wird, aber eben nicht ausschließlich.

Ich selbst neige ebenfalls eher der Position B zu. Mir erscheint es nicht einleuchtend, einen Mensch, der sich noch (wenn auch nur mittels Hilfen wie künstlicher Beatmung und künstlicher Ernährung) gegen Infekte wehren, ein Kind austragen oder Nahrung verarbeiten kann, als tot zu bezeichnen. Zugleich bin ich der Überzeugung, dass ich in diesem Zustand meine Organe nicht mehr brauche, weil ohne technische Unterstützung mein Leben sowieso zu Ende wäre und ich die Beendigung dieser technischen Unterstützung wünschen würde. Von daher würde ich es als einen von mir legitimierten Eingriff in meinen Sterbeprozess betrachten, wenn mir meine Organe entnommen würden und ich im Rahmen dieser Organentnahme endgültig stürbe.

Die Mehrheitsmeinung hat gegen die Aufgabe der Dead-Donar-Rule ethische und verfassungsmäßige Bedenken, weil sie darin eine Untergrabung des Lebensschutzes sieht. Zudem hat sie Sorge, dass die Voraussetzungen zur Organspende enger gefasst sein müssten und dann noch weniger Organe zur Transplantation zur Verfügung stehen würden; denn, so argumentiert sie, eine Organentnahme könne dann nicht  mehr auf der Entscheidung Dritter (also der Eltern bei Kindern, naher Angehöriger, wenn der sterbende Mensch keine eigenen Entscheidung getroffen hat) beruhen, wie dies ja im Rahmen der erweiterten Zustimmungslösung zurzeit möglich ist, denn diese hätten nicht das Recht über die Tötung eines Menschen zu entscheiden.1

Aus meiner Sicht lohnt die Auseinandersetzung mit diesen Argumenten. Dabei sollte aber berücksichtigt werden, dass durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin der Begriff des Todes kein eindeutiger mehr ist, sondern wie Dieter Birnbacher sagt, ein Clusterbegriff bzw. ein fuzzy conzept, bei dem nicht immer alle Aspekte zusammen realisiert sind.2 Zudem sollte in Blick genommen werden, dass wir über das innere Erleben des Sterbens wenig wissen. Die Berichte von Nahtoderfahrungen legen es zumindest nahe, dass wir nicht sicher davon ausgehen können, dass mit dem Ausfall des Gehirn keinerlei Form von Bewusstsein vorhanden ist, auch wenn das mit den augenblicklichen Möglichkeiten der Medizin nicht zu beschreiben ist.

Von daher wünsche ich mir, dass der Gesetzgeber ein Konzept entwickelt, das all diesen Aspekten Rechnung trägt. Möglicherweise würde es (im Gegensatz zur Haltung der Minderheitenposition B) dazu auch gehören, die Anforderungen an die Zustimmung zur Organentnahme zu verschärfen.

Eine Möglichkeit, die Auswirkungen einer solchen Verschärfung abzumildern, sähe ich darin, die Zahl der expliziten Zustimmungen dadurch zu erhöhen, dass  diese zentral erfasst und (mit einer Karenzzeit von einigen Jahren) zur Voraussetzung zum Organempfang gemacht würden. Aus meiner Sicht wäre eine solche Koppelung von Organspendebereitschaft und der Möglichkeit des Organempfangs naheliegend, weil sie der Tatsache Rechnung trüge, dass die Voraussetzung zum Organempfang die Bereitschaft (dann natürlich anderer) ist, Organe zur Verfügung zu stellen. Und in einer Gesellschaft, die gespalten ist, ob Organtransplantation sinnvoll ist oder nicht, erscheint es mir ethisch zumutbar, sich im Vorfeld zu einer der beiden Gruppen zuzuordnen und das auch einer zentralen Institution gegenüber zu dokumentieren.

Eine Konsequenz solch einer Koppelung wäre auch, dass die Entscheidung von Eltern, ihre Kinder im Falle eines möglichen Hirntodes als Organspender zur Verfügung zu stellen, nicht ohne potentiellen Nutzen für diese Kinder wäre, weil sie nur dann auch als Organempfänger in Frage kämen, so dass damit ein Argument der Position A entkräftet würde, dass Eltern nicht das Recht hätten, über lebensverkürzende Eingriffe für ihre Kinder zu entscheiden, wenn das nur dem Wohle Dritter diene.

1 So sieht das  z.B. auch das Positionspapier der Evangelischen Frauen in Deutschland, das vom Gesetzgeber fordert, einen Verständigungsprozess zur Aufgabe der Dead-Donar-Rule zu initiieren und dann „auf Grundlage dieses Verständigungsprozesses die Transplantationsgesetzgebung dahingehend zu modifizieren, dass Voraussetzung einer legalen Organentnahme nach festgestelltem Hirntod die schriftlich erklärte Zustimmung des Spenders oder der Spenderin (ab 18Jahren) ist“. (http://www.evangelischefrauen-deutschland.de/images/stories/efid/Positionspapiere/organtransplantation_positionspapier%202013.pdf, S. 27.)

2 Vgl. Birnbacher, D. (2007): Der Hirntod – eine pragmatische Verteidigung. In: Byrd,B. S.; Hruschka, J.; Joerden, J. C. (Hg.): Jahrbuch für das Recht und Ethik. Band 15.Berlin, 459–477. (nach Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 97.)

Ein Gedanke zu „Hirntod = Ganztod? Zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrats

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