Der Tod vom George Floyd in Minneapolis durch rassistische Polizeigewalt im Mai 2020 hat auch in meiner Kirche, der Evangelischen Kirche von Westfalen, zu einem verstärkten Nachdenken über Rassismus geführt, das sich z.B. in einer Stellungnahme ihrer Jugendkammer oder der Durchführung einer Studientags Weiße Privilegien in der Kirche im Oktober jenes Jahres ausdrückte. Grundlage dafür ist ein Satz aus der Stellungnahme der Jugendkammer, dem wohl nur wenige Christ*innen dieser Kirche widersprechen würden:
„Wir sind überzeugt: Rassismus jeglicher Art ist mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Rassismus beinhaltet jedoch eine Ideologie der Ungleichheit, negiert damit diese christliche Grundüberzeugung und missachtet die fundamentalen Freiheits- und Gleichheitsrechte des Menschen.”
So weit, so klar. Aber nicht nur in den USA, sondern auch bei uns werden Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund nicht nur von ausgewiesenen Rassist*innen als „anders” ausgegrenzt oder ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum erschwert. Exemplarisch deutlich machen das die wütenden Beiträge des Bandes Eure Heimat ist unser Albtraum, aber auch deren Kritik durch Canan Topçu in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Definitionen, was Rassismus eigentlich ist. Hier ein paar Beispiele:
- „Rassismus: (meist ideologischen Charakter tragende, zur Rechtfertigung von Rassendiskriminierung, Kolonialismus o. Ä. entwickelte) Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen oder ethnisch-kulturellen Merkmalen anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen.” (Duden.de, abg. 19.11.2020)
- „Für die Zwecke von Racists Anonymous wird Rassismus als Voreingenommenheit gegenüber anderen auf der Grundlage von Rasse, Klasse, Geschlecht, körperlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Nationalität, sexueller Orientierung und mehr definiert. RA verwendet eine weit gefasste Definition von Rassismus, weil unser Fokus darauf liegt, zu lernen, die Existenz unserer individuellen Vorurteile anzuerkennen und unsere individuellen Handlungen in Bezug auf alle Menschen zu ändern.” (http://rainternational.org/frequently-asked-questions/, übersetzt von HP unter Zuhilfenahme von http://www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version).)
- „Macht + Vorurteil = Rassismus. Rassismus beschreibt das Ergebnis von vorurteilsbehafteten Einstellungen in Verbindung mit der Macht, diejenigen Systeme und Institutionen zu beherrschen und zu kontrollieren, die in der Lage sind, diskriminierende Praktiken auszuführen.” (United Church of Christ, White Privilege, S.2; http://www.uccfiles.com/pdf/Participant-Preparation-Hand-Outs.pdf, abg. 5.1.2021, übersetzt unter Zuhilfenahme von http://www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version).)
- „Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen. Es wurde über Jahrhunderte aufgebaut und ist mächtig. Darin wurde die Hierarchie rassifizierter Gruppen festgeschrieben, und die lautet, ganz grob, so: Weiße ganz oben, Schwarze ganz unten.” (Alice Hasters in: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/nach-dem-tod-von-george-floyd-stellt-euch-endlich-eurem-problem-liebe-weisse/25038494-all.html, abg. 5.1.21)
Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – die verschiedenen Definitionen Gefühle auslösen, ist es aus meiner Sicht wenig sinnvoll, darüber zu streiten, welche die einzige „richtige” sei. Jede beschreibt ein Phänomen, das es auf dieser Erde gibt und das mit der gewollten oder ungewollten Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe zu tun hat.
Dabei leuchtet es mir sehr ein, zu sagen, dass das Hauptproblem nicht Vorurteile an und für sich sind – die sind wahrscheinlich unvermeidbar – sondern Vorurteile in Verbindung mit Macht. Diese können sich dann neben der Hautfarbe und Herkunft auch auf die unterschiedlichsten Merkmale wie z.B. Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, sexuelle Identität oder Religion beziehen. Hier könnte es zur sprachlichen Klarheit helfen, als rassistische Diskriminierung eine solche zu bezeichnen, die eben auf Herkunft oder Hautfarbe fokussiert.
White Privilege
If you grew up with an expectation that images on TV, in books, and at movie theaters would share your racial identity, you have white privilege.
If you have NEVER felt the burden of “representing your race,” you have white privilege.
If you have NEVER been presumed as intellectually inferior or incapable solely because of the color of your skin, you have white privilege.
If you can presume that history courses offered in your school will provide a narrative about people who look like you, you have white privilege.
If this country has NEVER debated the monetary value of all the people who look like you, you have white privilege.
If there have NEVER been laws passed to prevent your full participation in democracy, you have white privilege.
If you have NEVER been categorized based solely on the color of your skin, you have white privilege
Traci Blackmon (United Church of Christ, White Privilege, S.15).
Dann lohnt es sich sicher, sich auf jeden Fall klarzumachen, wie Macht insgesamt in diesem Land bzw. dieser Welt verteilt ist und dass es in vielen Situationen leichter ist, „weiß” zu sein. Zugleich sind Machtverhältnisse wandelbar, und es scheint mir wichtig, im Bewusstsein zu behalten, dass das Wissen um diese Wandelbarkeit je nach Position und Einstellung Hoffnung oder Angst auslösen kann.
Gewalt gegen als „anders“ ausgegrenzte, hat es auch in den letzten Jahrhunderten nicht nur von weißen Mitteleuropäer*innen gegeben. Von daher plädiere ich dafür, die Ziele des Antirassismus so zu formulieren, dass nicht allein das aktuell besonders mächtige System weißer Herrschaft angegriffen wird, sondern jegliches Verhalten und jegliche Strukturen, die Vorurteile mit der Macht verbinden, eigene Interessen, Werte und Lebensweisen auf Kosten anderer durchzusetzen.
Ein solcher breiterer Ansatz könnte eine Atmosphäre schaffen, die es leichter macht, auf die Erfahrung von Diskriminierung zu hören, sich die eigenen Privilegien anzusehen und darüber nachzudenken, was ich tun kann, dass mein Verhalten und das Verhalten der von mir mitgetragenen Organisationen nicht die Lebenschancen anderer vermindern.
Die Kampagne der United Church of Christ in den USA, eine Partnerkirche der Evangelischen Kirche von Westfalen, agiert genau in solch einem Geist. Sie stellt Materialien und Strukturen zur Reflexion der eigenen Privilegien und des eigenen rassistische Strukturen stützenden Verhaltens zur Verfügung. Das könnte Vorbild auch für meine Kirche sein.